Vorträge

Vortrag „Der ganze Mensch im Blick ? Warum eine Schule ohne Kunst keine Schule ist“ von Herrn Prof. Reiner Schuhenn

Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, Qualität in annähernd allen Bereichen unseres Lebens in Form des Rankings, der Rangliste zu messen. Warum also sollte das, was z.B. bei der Wahl der erfolgreichsten Diät oder des besten Restaurants Orientierung gibt, in Fragen der Bildung falsch sein? Und so stößt es im Allgemeinen auf wenig Irritation, wenn auch die Qualität unserer Hochschulen und die Bildungserfolge unserer Schüler (Stichwort PISA) zum Zweck des leichteren Vergleichs mit einem Punktesystem bewertet und in eine Rangliste gebracht werden, so dass Sieger und Schlusslichter für jeden bequem abzulesen sind.

Aber ist Bildungserfolg wirklich so leicht messbar wie der Verlust ungeliebter Kilos? Was macht überhaupt echte Bildung aus? Und welche Rolle spielen die musischen Fächer Kunst, Musik und Literatur in diesem Zusammenhang? Um diesen Fragen nachzugehen, weitete Professor Schuhenn den Blick über die Vermittlung verwertbaren, konkret anwendungsbezogenen Wissens hinaus auf einen emphatischen Bildungsbegriff, der in humanistischer Tradition auf das Wesen des Menschen zielt und sich sowohl der quantitativen Messbarkeit der Bildung als auch ihrer Verzweckung in konkreten Funktionszusammenhängen widersetzt.

Wie in der zugespitzten Titelformulierung bereits spürbar wird, erinnerte er in seinem Vortrag an das große Bildungspotential der Künste, die auf eine tiefere, dem rationalen Denken unzugängliche Schicht des Menschen zielen. Dabei wurde die angestrebte Synthese aus Ratio und Emotio bereits in der Form seines Vortrags erlebbar, der den Bogen von philosophischen Thesen bis zu musikalischen Hörbeispielen spannte. In der persönlichen, intensiven Begegnung mit Werken der Kunst verlasse der Mensch die Sicherheit des Messbaren und Nützlichen und begegne stattdessen sich selbst in seiner Individualität und Einzigartigkeit, aber eben auch Unverständlich- und Unberechenbarkeit. Die diese Bereiche oft bewusst ausgrenzende Fixierung unserer Gesellschaft auf Effizienz und Messbarkeit führte Schuhenn in einer ebenso überraschenden wie erhellenden Wende auf einen Verlust an Glauben zurück: Da der Mensch angesichts einer tiefgreifenden Verunsicherung nicht mehr in der Lage sei, die eigene Irrationalität und Fehlerhaftigkeit zu ertragen, versuche er, sich auf allen Gebieten durch quantitativ messbare „Qualität“ abzusichern. Von diesem Mechanismus würden gerade auch Einrichtungen erfasst, in denen die Menschen früher „Imperfektionstoleranz“, also den Umgang mit den eigenen Fehlern, Schwächen und Abgründen, lernen konnten. Dazu gehörten neben der Kirche eben auch die Bildungseinrichtungen.

Dass die Künste weit mehr sind als bloße Unterhaltung und dem Menschen neben Entspannung und Erholung auch erst die Entdeckung und Entwicklung seiner ganzen Person ermöglichen, dass sie sogar einen möglichen Zugang zum Göttlichen und dadurch Halt und Orientierung bieten können und dass dies letztlich nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Gesellschaft nützen wird, fasste Schuhenn abschließend mit einer Anleihe bei Platon zusammen: „Die Götter aber, sich erbarmend über der Menschen zur Arbeit geborenes Geschlecht, haben ihnen, zur Erquickung in der Mühsal, die wiederkehrenden Götterfeiern gesetzt und ihnen zu Festgenossen die Musen und den Musenführer Apoll und den Dionysos gegeben, damit sie, sich nährend im Umgang mit dem Göttlichen, wieder Geradheit empfingen und Richte.“

Die Schülerinnen Eva Rumpf und Paula Schröder (Q2) moderierten die anschließende Diskussion und bestätigten zum Einstieg aus eigener Erfahrung die Bedeutung einer weit gefassten, die ganze Person in den Blick nehmenden Bildung gerade in einem Alter, in dem wichtige Entscheidungen für das weitere Leben getroffen werden. Eine Schule, die ihren Namen verdienen will, darf sich nicht nur auf die Ausbildung der Ratio beschränken. Einen wichtigen Beitrag dazu können die musischen Fächer leisten. Daher darf auf sie, darin waren sich in der engagierten Diskussion im Anschluss an den Vortrag alle Beteiligten einig, nicht zugunsten anderer, vordergründig „wichtigerer“ Fächer verzichtet werden.

Image

Autor Bernhard Schlink liest und signiert in der Liebfrauenschule

Rund 120 Interessierte fanden sich am Montag, dem 20.11.2017, trotz nasskalten Wetters in der Aula der LFS ein, um Bernhard Schlink zuzuhören. Er las die letzte Erzählung aus seinem 2010 erschienen Erzählband „Sommerlügen“, dessen Geschichten allesamt um menschliche Sehnsüchte und Schwächen kreisen. Im Mittelpunkt der Erzählung mit dem Titel „Die Reise nach Süden“ steht Nina, eine Frau jenseits der siebzig, deren Gleichgewicht angesichts des Bewusstseins darüber, dass ihr Leben aus einer Aneinanderreihung verpasster Chancen besteht, aus den Fugen gerät.

Nach der Scheidung von ihrem Ehemann sind ihre mittlerweile erwachsenen Kinder zwar „wohlgeraten“, füllen Ninas Versicherungsanträge für die neue Brille oder das Hörgerät aus, aber am Tage des Geburtstages wird ihr klar, dass die eigenen Kinder ihr in Gänze fremd sind. Die Liebe zu ihnen ist „ausgefallen“, wie Schlink meisterhaft lakonisch konstatiert. Offen bleibt, ob die eigene Lebenslüge oder die „Schonhaltung“, die die eigenen Kinder der Mutter gegenüber einnehmen, zur emotionalen Kälte geführt haben. Erst eine Reise in die Vergangenheit, die sie gemeinsam mit ihrer Enkelin Emilia unternimmt, führt sie aus dem Zustand jener emotionalen Lethargie heraus. Die Begegnung mit dem Geliebten aus der Studienzeit konfrontiert sie mit der lange verdrängten Schuld, ihn verlassen zu haben und versöhnt sie zugleich mit ihr. Am Ende werden Enkelin und Großmutter zu Komplizinnen. Emilia löst sich aus der Umklammerung der Familie und reist - ohne Abschied - nach Costa Rica. Darüber schweigt die Großmutter, in dem sicheren Bewusstsein, dass ihre Enkelin ein anderes Leben führen wird als sie selbst. An die Lesung schloss sich eine lebendige Diskussion an, in der Bernhard Schlink die zahlreichen Fragen der Schülerinnen Sara Krause und Paula Schröder sowie der Zuhörerinnen und Zuhörer beantwortete.

Nach seinem Selbstverständnis als Schriftsteller befragt, antwortete der Autor, es gebe keine Routine beim Schreiben, stattdessen schreibe er überall, auch auf der Parkbank oder im Zug. Selbst Erlebtes, Erhofftes, Gewünschtes, Gefürchtetes, all dies fände sich in seinen Erzählungen und Romanen wieder. Manchmal seien es auch Gesichter, denen er begegne, zu denen eine Geschichte passe und dann müsse diese geschrieben werden. In diesem Kontext wehrte sich Schlink gegen die häufig gestellte Frage, wie viel seiner Werke denn autobiographisch geprägt sei und antwortete augenzwinkernd mit einer Gegenfrage: „17% oder 22 % ? Auf diese Frage gibt es keine Antwort“. Der Autor, dessen zweites Zuhause neben Berlin New York ist, stellte klar, dass er nie auf den Gedanken käme, literarische Texte im Amerikanischen zu schreiben. „Ich liebe die deutsche Sprache, die Worte, die Sätze. Sie besitzt für mich eine Würde“, so Schlink.

Gleichzeitig betonte der Jurist Schlink, wie dankbar er sei, das Recht nie aufgegeben zu haben und zwischen belletristischem und juristisch-wissenschaftlichem Schreiben wählen zu können: „Es tut Schriftstellern gut, ein Bein in der Welt zu haben und nicht nur im eigenen Kopf!“ Schulleiterin Mechthild Wolber dankte Schlink für den wunderbaren literarischen Abend. Ein weiterer großer Dank gilt Schlinks sozialem Engagement, der die gesamten Einnahmen des Abends für den Sozialfonds der LFS spendet. (NP)

Image

Vortrag „Frauen und Bildung - eine historische Spurensuche“ von Frau Prof. Dr. Gisela Muschiol

Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Frauen der Weg in die akademische Bildung versperrt. Was sind die historischen Gründe dafür und warum sind selbst heute noch so wenige Frauen in leitenden Positionen zu finden? Dies sind nur einige der spannenden und nach wie vor aktuellen Fragen, denen Frau Professor Muschiol (Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte sowie Leiterin der Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung an der Universität Bonn) am Dienstagabend, 27.6.2017, in ihrem Vortrag an der LFS nachging.

Dabei machte sie deutlich, dass die Bildungsgeschichte der Frauen eigentlich unter positiven Vorzeichen begonnen hatte. Aus Frauenklöstern des Frühmittelalters erhaltene größtenteils lateinische Texte führten den interessierten ZuhörerInnen vor Augen, wie die Autorinnen zunächst aus dem Bedürfnis heraus, verstorbenen Mitschwestern zu gedenken, dann aber z.B. auch durch schriftliche Verzeichnisse ihres Landbesitzes, selbstbewusst Zeugnis von ihrem Einfluss und ihrer Bildung ablegten. Diese Tendenz setzte sich auch im Hochmittelalter fort, wie mehrere Abbildungen lesender und diskutierender Frauen belegen.

Die Wende in die weibliche Bildungsmisere sei laut Frau Professor Muschiol erst mit der Reformation gekommen: Durch die Schließung zahlreicher Frauenklöster sei eine wichtige Traditionslinie weiblicher Bildung abgeschnitten worden und habe sich nur noch in kleinen Nischen fortsetzen können.

Wer mit dem Einsetzen der Aufklärung auf Besserung hofft, wird bitter enttäuscht: Ungeachtet ihrer generellen Hochschätzung von Bildung und Emanzipation habe diese einflussreiche Epoche beim Thema "Frau" einen blinden Fleck und reduziere die Frauen weitestgehend auf die andere, irrationale Seite des Männlich-Rationalen. So werde die Frau gerade seit dem 18. Jahrhundert, das in vielen anderen Bereichen als Vorbereitung der Moderne gelten darf, auf die Rolle als Mutter und Hausfrau festgeschrieben, woran auch die wenigen positiven Ausnahmen gebildeter Frauen im 19. Jahrhundert, z.B. in den Berliner Salons der Romantik, nur wenig haben ändern können. Um dieses verhärtete Rollenbild aufzuweichen, habe es erst umfassender politischer, sozialer und ökonomischer Veränderungen an der Wende zum 20. Jahrhundert bedurft, und nur mit Mühe und viel Geduld sei es den Frauen endlich gelungen, ihren Weg in die - nun auch akademische - Bildung zu erstreiten.

Doch, und damit ist Frau Professor Muschiols historische Spurensuche in der Gegenwart angekommen, selbst heute, wo die Zahlen männlicher und weiblicher AbiturientInnen und Studienanfänger annähernd ausgeglichen seien, lasse sich an der Spitze der Gesellschaft weiterhin ein deutlicher Mangel von Frauen feststellen. Sowohl an den Universitäten als auch in der Wirtschaft seien die Spitzenränge nach wie vor größtenteils von Männern besetzt.

Nicht zuletzt an diesem Punkt entzündete sich im Anschluss an den Vortrag eine lebhafte Diskussion, die das mit Herrn Dr. Schultheis, Frau Dr. Janssen und einer Schülerin aus der Q1 ökumenisch besetzte ModeratorInnen-Team engagiert und kenntnisreich moderierte. Am Ende ergab sich ein ambivalentes, aber auch ermutigendes Bild: Bis Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft ihren Platz gefunden haben, dürfte es trotz großer Fortschritte noch immer Geduld und Hartnäckigkeit erfordern. Gerade Mädchenschulen wie die unsere scheinen dabei jedoch, dies zeigt zumindest die Statistik, eine wichtige Rolle zu spielen und konnten bereits eine ganze Reihe von jungen Frauen mit der nötigen Mischung aus Kompetenz und Selbstbewusstsein ausstatten, um z.B. universitäre Lehrstühle zu besetzen.

Image
Image

Vortrag von Prof. Dr. Ursula Lehr: „Leben in einer Zeit des Wandels – Herausforderungen und Chancen“

Das 100-jährige Jubiläum der Liebfrauenschule nahm die ehemalige Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Frau Prof. Dr. Ursula Lehr, zum Anlass, das Auditorium am Abend des 2. Mai 2017 in der Aula der Liebfrauenschule mit einem Vortrag über den Wandel in Gesellschaft und Familie sowie im Verhältnis der Generationen zu unterhalten.

Gleich zu Beginn legte sie dar, welch große Herausforderung der demografische Wandel für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt darstelle. Eine Ursache für diese Herausforderung liege darin, dass der Wandel nicht nur das Verhältnis der Generationen und der Familien betreffe, sondern auch mit generellen kulturellen und weltanschaulichen Veränderungen sowie der zunehmenden Technisierung einhergehe.

Chancen, mit dem demografischen Wandel im bevölkerungsschwachen Europa konstruktiv umzugehen, sieht Prof. Lehr im lebenslangen Lernen. Sie postulierte folgerichtig: „Wir müssen lernend altern und Altern lernen!“ Denn je älter wir würden, umso weniger sage die Anzahl der Jahre etwas über unsere Fähigkeiten, Fertigkeiten, Verhaltens- und Erlebnisweisen aus. Dieses Potential der Älteren müsse viel mehr ausgeschöpft werden, z.B. auch durch die Flexibilisierung und Entschleunigung von Arbeitsprozessen oder durch Initiativen wie dem „Senioren-Experten-Service“, der Jugendliche ohne Perspektive begleite.

Auch sieht Frau Prof. Dr. Lehr in der Flüchtlingswelle der letzten Jahre eine Chance für die deutsche Gesellschaft. Zwar stelle der Zuzug zahlreicher Geflohener eine große Herausforderung im Hinblick auf deren Bildung dar (73,8% der Flüchtlinge waren 2016 jünger als 30 Jahre). Jedoch berge dies auch große Chancen, wenn Inklusion gelinge, so wie in der Internationalen Vorbereitungsklasse der Liebfrauenschule, deren Schirmherrin Lehr ist.

So schloss sie ihren Vortrag mit dem gleichzeitigen Appell und Wunsch für die Liebfrauenschule, auch in den kommenden 100 Jahren aufgeschlossen gegenüber Neuem zu sein und Herausforderungen mit Optimismus zu begegnen.

Es schloss sich eine angeregte Diskussion an den Vortrag an, die von den Schülerinnen Fatima Elgadra und Ana Ferraro moderiert wurde.

Image
Image