Ein Stein, der verbindet

Jeder von uns kennt sie, die kleinen, fast unscheinbaren goldenen Steine, welche man in ganz Bonn verteilt finden kann. Wie die meisten von euch wahrscheinlich bereits wissen, handelt es sich bei ihnen um sogenannte Stolpersteine. Sie stehen für einen Menschen, der an diesem Ort gelebt hat und während des zweiten Weltkrieges von den Nazis umgebracht wurde. Auf den kleinen Messingsteinen sind ihr Name, das Geburts- und Todesdatum sowie das Konzentrationslager, in dem sie gestorben sind, eingeprägt.

Letztes Jahr hat sich Nina Schoog, eine Schülerin des Leistungskurses Geschichte der Q2, im Rahmen ihrer Facharbeit mit dem Thema Stolpersteine in Bonn befasst. Hierbei hat sie sich auch mit dem Schicksal von Arthur Weill auseinandergesetzt und die Nachkommen bei seiner Stolpersteinverlegung kennengelernt. Die Familie Weill hat ihre Wurzeln in Bonn, heute lebt sie jedoch in Frankreich. Die „Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum Bonn e.V.“ plant auch, Stolpersteine für die restlichen Angehörigen Arthur Weills, seine Ehefrau Celine sowie die Kinder Alice und Ernest, zu verlegen. Der Leistungskurs von Frau Sommershof sammelte innerhalb des Kurses die nötigen Mittel, um für die Verlegung des Stolpersteins von Alice Weil zu spenden.

Am 31.01.2020, einem kühlen Donnerstagmorgen, trafen sich Bonner und Beueler Schülerinnen und Schüler am Bertha-von-Suttner-Platz, direkt vor dem neugebauten Motel One. Hier stand einst das Haus, in dem die Familie Weill lebte. Als wir dort ankamen, herrschte bereits ein reges Treiben. Mehrere Familienmitglieder, der Künstler Günter Demnig, eine andere Schulklasse, die Mitarbeiter der Gedenkstätte, zwei Polizisten und mehrere Journalisten nahmen teil. Wir waren positiv überrascht, dass so viele Menschen anwesend waren, da im vergangenen Jahr lediglich die Familie, Freunde, der Künstler und die Mitarbeiter der Gedenkstätte sowie eine unserer Schülerinnen teilgenommen hatten.

Die Polizisten erklärten uns, dass die Familie Weill sich polizeilichen Schutz wünschte. Sie hatten Sorge, nach dem Anschlag von Halle im Oktober des zurückliegenden Jahres Hass, Beleidigungen und Gewalt gegenübertreten zu müssen. Es war sehr interessant zu sehen, wie der Künstler alles vorbereitete und anschließend die Steine pflasterte. Die Familie war so nett, uns anschließend in die Gedenkstätte einzuladen, wo wir mehr über sie und ihr Leben erfahren sollten…

Ursprünglich stammte die Familie aus dem Elsass, jedoch hatten sie insgesamt 30 Jahre lang in Bonn gelebt. Arthur Weill arbeitete als Direktor im damaligen Kaufhaus Alfred Léonard Tiez AG, welches heute als Kaufhof bekannt ist. Gezwungenermaßen mussten sie 1933 ihre geliebte Stadt verlassen, um vor den Nationalsozialisten zu fliehen.

Alice Weill wurde am 25. Juli 1910 in Bonn geboren. Sie und ihre Familie verbrachten viel Zeit in der nahe gelegenen Synagoge am Rhein, wo heute das Hilton-Hotel steht. Diese Synagoge wurde 1938, wie viele andere Synagogen in ganz Deutschland, in der Reichspogromnacht zerstört. Nachdem sie ihr Abitur an der Liebfrauenschule erworben hatte, arbeitete sie als Buchhalterin im selben Kaufhaus wie ihr Vater. Zu Beginn war das Unternehmen im Besitz einer jüdischen Familie, jedoch wurde es 1933 nach Anordnung der Nationalsozialisten in „Galeria Kaufhof“ umbenannt.

Alice heiratete am 6. Juni 1935 Georges Levy, und sie zogen zusammen nach Bordeaux. Ihre Eltern, Arthur und Celine, zogen im September 1939 aufgrund des ausbrechenden 2. Weltkrieges zu ihr. Zusammen flohen sie 1942 nach Dausse, wo Alices Schwiegereltern lebten. Am Morgen des 2. März 1944 tauchte die Gestapo auf, und sieben Männer sowie zwei Frauen mussten mit ihnen mitkommen. Lediglich drei von ihnen überlebten den Holocaust. Alice wurde in Ausschwitz die Nummer 76242 eintätowiert. Als das Konzentrationslager im Januar 1945 von den Nazis geräumt wurde, hatte sie die Chance, als Überlebende der Todesmärsche Ausschwitz hinter sich zu lassen. Trotz der schrecklichen Umstände, des Mangels an Nahrungsmitteln und warmer Kleidung sowie Schlafentzugs überlebte sie. Anfang Mai 1945 wurde sie von den Alliierten in der Nähe von Berlin befreit. Zu dem Zeitpunkt wog sie nur noch um die 35 Kilogramm. Zurück in Dausse, wo die Familie immer noch lebte, halfen sie ihr dabei, wieder auf die Beine zu kommen. Sie bekam zwei gesunde Kinder, von denen ihr Sohn Jaques persönlich der Verlegung beiwohnte.

Sie starb am 18. Januar 1996 in Bordeaux.

Es war eine ganz besondere und seltene Erfahrung. Wir sind der Familie sehr dankbar, dass sie so viele persönliche Dinge mit uns geteilt hat und uns emotional entgegengekommen ist. Die wichtigste Botschaft des Tages war, dass wir zueinanderhalten und andere respektieren müssen. Die schreckliche Wahrheit sollte niemals in Vergessenheit geraten oder verleugnet werden.

Wir lernten, dass auch hier in Bonn immer wieder antisemitische Parolen an öffentlichen Plätzen präsent sind und die meisten Bürger nichts dagegen tun. Ein Mitarbeiter der Gedenkstätte informierte uns, dass wir doch bitte solche Beobachtungen immer der Polizei melden sollten, damit diese entfernt werden können. Denn wenn wir nicht aktiv etwas gegen den anhaltenden Antisemitismus tun, wird er leider immer Bestandteil unserer Gesellschaft bleiben. Besonders in heutigen Zeiten ist es wichtig, eine aktive Nächstenliebe zu leben.

Wir danken sowohl der Familie Weill und den Mitarbeitern der Gedenkstätte als auch Frau Sommershof, die uns bei dem Thema engagiert unterstützt und somit dieses Erlebnis ermöglicht hat.

Linda Anika Dreesen, Nina Schoog